Ernährung für den Darm steht auch 2023 auf der TOP-10-Liste unseres Trendreports Ernährung. Im deutschsprachigen Raum holte 2014 die Medizinerin Giulia Enders mit ihrem Buch „Darm mit Charme“ das Thema aus der Tabuzone. Das Thema Ernährung für den Darm ist inzwischen regelmäßiges Thema in Ernährungsberatungen und -therapien. Verbraucher fühlen sich immer häufiger gequält von Völlegefühl, Blähungen und weiteren Verdauungsbeschwerden. Lösungen bieten zahlreiche Ratgeber oder die Hersteller von Pro- und Präbiotika. Auch die gezielte Stärkung der Darmgesundheit mit Unterstützung von Ernährungsexpert:innen wird immer populärer. Im Interview sprechen wir mit Diaetologin Petra Eberharter über ihre Beobachtungen in diesem Bereich.
Wie bist du zu dem Thema Darmgesundheit genau gekommen?
Ich bin seit 2013 Diaetologin und seit über 5 Jahren selbstständig in eigener Praxis tätig. Die Beratungsanfragen zur Ernährung bei Verdauungsbeschwerden, ständigen Blähungen und Unwohlsein steigen stetig an. Viele meiner Patient:innen haben bereits eine sehr lange Leidensgeschichte hinter sich, bevor sie zu mir kommen. Sie haben unzählige Sachen ausprobiert und viel Geld investiert. Im schlimmsten Fall haben sie sich in ihrer Lebensmittelauswahl so eingeschränkt, dass sie nicht mehr wissen, was sie überhaupt noch essen können. Dies beeinflusst die Lebensqualität immens und zieht sich meist über Jahre hinweg.
Aus diesem Grund habe ich mich in die Thematik ganzheitliche Darmgesundheit eingearbeitet und vielseitig fortgebildet, um nun Betroffenen dabei zu helfen, ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden ganzheitlich und langfristig zu verbessern.
Warum ist Darmgesundheit ein Trendthema, wie ist es zu einem Trendthema geworden?
Aktuell erfreut sich das Thema immer größerer Bekanntheit und die Angebote in diesem Bereich nehmen zu, also z.B. Dienstleistungen, Produkte wie fermentierte Produkte oder Prä-/Probiotika. Nicht ganz unschuldig daran sind meiner Meinung nach die vielen Darmtests für zu Hause, die durch eine Analyse des eigenen Darm-Mikrobioms endlich die lang ersehnte Besserung versprechen.
In den Medien wird häufig nicht betont, dass wir mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft noch nicht das individuelle und ideale Darm-Mikrobiom bestimmen können. Wir wissen jedoch, dass das eigene Darm-Mikrobiom so einzigartig wie der jeweilige Fingerabdruck ist. Je nach Alter, geografischer Herkunft, Krankheit oder Einnahme von Antibiotika weist sie große individuelle Unterschiede auf und die jeweilige Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms wirkt sich auf unser Immunsystem und in weiterer Folge auf unsere Gesundheit aus.
In der hier abgebildeten Baum-Grafik sieht man, welche Zusammenhänge zwischen spezifischen Darm-Mikrobiota-Zusammensetzungen und einer Vielzahl von Krankheiten bereits erforscht wurden.
Obwohl inzwischen bekannt ist, dass Veränderungen der Darm-Mikrobiota mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindungen gebracht werden können, ist noch nicht vollständig klar, ob Veränderungen des Darm-Mikrobioms die Krankheiten hervorrufen oder ob es umgekehrt ist. Dies müssen weitere Studien noch herausfinden.
Wie aufgeklärt sind Verbraucher:innen in der DACH-Region im Vergleich zu den Engländer:innen zu dem Thema?
Eine sehr gute Frage, die ich nicht mit Zahlen-Daten-Fakten beantworten kann. Was mir persönlich auffällt, ist der unterschiedliche Zugang zu wissenschaftlich fundierten Informationen zu dem Thema. In Großbritannien und auch Amerika, ist es viel selbstverständlicher, dass man bei ernährungsbezogenen Problemen zu einer/einem „Dietitian“ geht.
"In Großbritannien und auch Amerika, ist es viel selbstverständlicher, dass man bei ernährungsbezogenen Problemen zu einer/einem „Dietitian“ geht." Petra Eberharter
Bei uns wird zuerst Dr. Google gefragt. Das Internet bietet wissenschaftlich fragwürdige Antworten und Wunderpillen. In diesem Zusammenhang müssen wir als DACH-Ernährungsfachkräfte mehr Aufklärungsarbeit leisten, damit unsere Patient:innen den direkten Weg zu uns finden, bevor sie jahrelang von dubiosen Heilungsversprechen fehlgeleitet werden und viel Geld investieren, ohne ihre persönliche Lebensqualität wirklich langfristig zu verbessern.
Du berichtest, dass die Anfragen von Patient:Innen im Bereich der Darmgesundheit steigen. Wird dieser Trend auch von Ärzt:innen beobachtet? Wie funktioniert die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet?
Ja, meine ärztlichen Kooperationspartner:innen, darunter Internist:innen, Gastroenterolog:innen, aber auch Hausärzt:innen geben an, dass immer mehr Patient:innen mit dem Verdacht einer Lebensmittelunverträglichkeit zu ihnen kommen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit könnte in diesem Bereich noch ausgebaut werden. Anstatt die Patient:innen mit einer Lebensmittelliste nach Hause zu schicken, würde die Überweisung zur/zum Diaetolog:in/Diätassistent:in wünschenswert sein, um gemeinsam eine personalisierte verträgliche Langzeiternährung mit Berücksichtigung der individuellen Einflussfaktoren erarbeiten zu können.
Du hast einen Onlinekurs für Betroffene entwickelt. Wie läuft dieser ab?
Wie bereits erwähnt, steigen die Anfragen zur Ernährungstherapie im Bereich der ganzheitlichen Darmgesundheit auch über die österreichischen Ländergrenzen hinaus rasant an. Leider gibt es zugleich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Ernährungsexpert:innen, die zur Darmgesundheit therapieren.
Ziel war es also, einen ortsunabhängigen Zugang zum Mitmachen zu schaffen. Gemeinsam mit einem hochqualifizierten, multiprofessionellen Expert:innen-Team aus Medizin, Pflanzenheilkunde, Physiotherapie, Osteopathie und ayurvedischem Yoga haben wir die Inhalte gestaltet und unsere Expertise vereint. Soweit ich weiß, ist dieses multiprofessionelle Angebot bis dato einzigartig im deutschsprachigen Bereich.
Das Besondere an dem Kurs ist der Blick über den Tellerrand. Ernährung ist in meinen Augen weder das einzige Mittel zur Heilung von Verdauungsbeschwerden, noch muss es überhaupt der Hauptauslöser von Krämpfen, Blähungen, Durchfall oder Bauchschmerzen sein. Lebensmittel wegzulassen, ohne zuvor persönliche Einflussfaktoren auf die eigene Darmgesundheit genauer zu betrachten, macht wenig Sinn. Viel wichtiger ist es, Ursachenforschung zu betreiben, bevor man eine reine Symptombehandlung macht. Genau hier stehe ich mit Rat und Tat zur Seite. Deshalb beinhaltet mein Darm-Tagebuch fünf Bereiche, um mögliche Auslöser zu dokumentieren: Ernährung, Stimmung, Schlaf, Stuhlgang und andere Aktivitäten.
Der Kurs dauert 8 Wochen und setzt sich aus neun Haupt-Modulen und vier Bonus-Modulen zusammen – inklusive Schritt-für-Schritt Anleitungen, Erklärvideos, unterstützenden Wochenspeiseplänen und Rezepten, umfassender Expertenbetreuung und vielem mehr. Gestartet wird mit einem persönlichen Online-Erstgespräch, um ein umfassendes Bild über die aktuelle Lebenssituation zu erhalten und mögliche Vorerkrankungen abzuklären. Durch das Vorgespräch ist es möglich, den Kurs auf die individuellen Bedürfnisse abzustimmen. Die Teilnehmerzahl ist auf 25 Personen begrenzt.
Was ist das Ziel des Kurses?
Die Ziele werden im Erstgespräch gemeinsam erforscht und Fokuspunkte festgelegt. Manche möchten einfach wieder sorgenfrei ein Restaurant besuchen können, andere suchen nach Tools, um ihre Beschwerden im Alltag besser zu managen.
Um diese Ziele zu operationalisieren, werden validierte Skalen eingesetzt. Eine geeignete Skala ist die Visuelle Analogskala, kurz VAS-Skala, mit der wir körperliches Befinden (Darm), seelisches Befinden, sowie Allgemeinbefinden & Lebensqualität zu Beginn und nach dem Kurs messen. Dadurch kann der Veränderungsprozess wesentlich effizienter verdeutlicht werden.
Ein Beispiel: Beim letzten Kursdurchgang im September hatte sich das körperliche Wohlbefinden der Teilnehmer:innen um 58 %, das seelische Befinden um 40 % und das Allgemeinbefinden & Lebensqualität um 30 % zum Positiven verändert.
Du bist eine der 170 teilnehmenden Expert:innen beim Trendreport Ernährung 2023 - welchen Trend wünschst du Dir auf Platz 1?
Die Teilnahme am Trendreport gehört mittlerweile zu einem meiner Must-have. Wie kann es anders sein, würde ich mir die Darmgesundheit auf Platz 1 wünschen, um noch mehr Bewusstsein dafür zu schaffen.
Petra Eberharter, BSc MSc nutr. med. ist Diaetologin, TEH-Praktikerin und Jungsommelier. Sie vermittelt Genuss statt Verbote und hat sich in ihrer Praxis (Diaetologie Eberharter) auf eine ganzheitliche Darmgesundheit, vegane Ernährung und Pflanzenheilkunde spezialisiert. Mit ihrer positiv-motivierenden Art unterstützt sie Patient:innen auf ihrem Veränderungsprozess zurück zum Wohlfühl-Ich. Wer mehr über Petra und ihre Arbeit erfahren möchte, kann sich mit ihr auf LinkedIn, Instagram oder über ihre Website in Verbindung setzen.
Dieses Interview wurde geführt von Katharina Knoblich, NUTRITION HUB.